Einführung
In diesem Jahr möchten wir Ihnen “Schweine als Versuchstiermodelle” vorstellen, die zu großen Errungenschaften in der biomedizinischen Forschung geführt haben. In den folgenden Abschnitten erfahren Sie mehr über verschiedene Rassen, die sich in zwei Hauptkategorien zusammenfassen lassen: Die Hausschweine und die Minischweine.
Als Standardrassen von Hausschweinen werden in Deutschland häufig die Deutsche Landrasse und Landrasse Hybride in der Forschung eingesetzt. Es gibt aber auch Minischweine, darunter – das Göttinger Minischwein, das Aachener Minipig und das Cardio Pig - drei Rassen, die spezifisch entsprechend der Anforderungen der biomedizinischen Forschung aus der Kreuzung anderer Rassen gezüchtet wurden.
Im Folgenden haben wir Informationen zusammengestellt, die zeigen, warum und in welchen Bereichen Schweine in der Forschung eingesetzt werden, welche Eigenschaften sie haben und welche Meilensteine mit Schweinen erreicht wurden.
Warum werden Schweine in der Forschung verwendet?
Schweine weisen uns Menschen gegenüber einer ähnlichen Anatomie und Physiologie auf, weshalb mit Ihnen genauere Vorhersagen über unseren Körper und dessen Funktionsweise und Reaktionen auf verschiedene Stoffe getroffen werden können. Allein unser Immunsystem stimmt zu ca. 80% mit dem der Schweine überein. Und besonders das Schweineherz weist viele Ähnlichkeiten in Aufbau und Größe zu unserem auf. Darum werden Schweine auch häufig für humane kardiovaskuläre Forschung eingesetzt.
Schweine können mithilfe moderner Technologien genetisch modifiziert werden, um sie dem Menschen noch ähnlicher zu machen. Zwar stehen in diesem Bereich derzeit weniger etablierte Methoden zur Verfügung als bei der Maus, dennoch eröffnen solche Modifikationen vielversprechende Einsatzmöglichkeiten. So können Schweine beispielsweise als potenzielle Organspender für die Transplantationsmedizin dienen oder in der Entwicklung und Erprobung neuer Medikamente und Therapien eingesetzt werden. Ihre physiologischen Reaktionen liefern wertvolle Erkenntnisse darüber, wie der menschliche Körper auf bestimmte Eingriffe oder Wirkstoffe reagieren könnte.
Während für Kurzzeitversuche/Akutversuche die Standardrassen der Hausschweine (Deutsche Landrasse oder Landrasse Hybride) geeignet sind, sind für Langzeit- und chronische Studien die Minischweinrassen vorteilhaft. Neben den Vorteilen des begrenzten Wachstums und Körpergewichts können auch andere Eigenschaften für Minischweine sprechen. Allerdings ist der Einsatz von Minischweinen in bestimmten Fragestellungen limitiert. Zum Beispiel sollten auf dem Gebiet der Xenotransplantation Tiere verwendet werden, bei denen die Größe der Organe denen der menschlichen Organe entspricht. Bei den Standardrassen muss bedacht werden, dass diese sich noch voll im Wachstum befinden, wenn eine dem Menschen vergleichbare Gewichtsklasse erreicht wird.
Darüber hinaus basiert die Zucht von Standardrassen der Hausschweine für landwirtschaftliche Zwecke auf kontinuierlicher Selektion mit dem Ziel, die genetischen Vielfalt zu wahren, was im Widerspruch zur genetischen Standardisierung in der Forschung steht.
Im Gegensatz zu Nagetieren ist die genetische Standardisierung bei Großtiermodellen, die in der präklinischen Forschung eingesetzt werden, kein Endziel. Das Ziel des Züchtungskonzepts von Großtiermodellen ist die Nachahmung der genetischen Struktur von nicht gezüchteten Populationen, indem eine konstante genetische Heterogenität geschaffen und erhalten wird.
In welchen Bereichen der biomedizinischen Forschung spielen Schweine eine Rolle?
Die biomedizinischen Forschungsbereiche, in denen Schweine als Modell-Labortiere eingesetzt werden, sind:
- Chirurgisches Training: Angehende Chirurgen werden im Sinne der 3R zunächst an Dummys oder chirurgischen Trainern geschult. Dennoch ist es für eine vollumfängliche chirurgische Ausbildung in manchen Gebieten noch erforderliche Eingriffe an Schweinen zu trainieren.
- Testungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten: Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass neu entwickelte Medizin und Therapien an Tieren getestet werden müssen, bevor sie in Umlauf gebracht werden dürfen. Häufig werden Schweine für diese Tests zusätzlich zu einer Nagerspezies eingesetzt, wobei immer eine Nicht-Nagerspezies erforderlich ist. Bei der Auswahl eines solchen Modells spielt auch die Ähnlichkeit der Schweine mit dem Menschen eine Rolle.
- Hautkrankheiten: Schweinehaut hat ungefähr die gleiche Dicke und Zusammensetzung wie unsere Haut. Durch Forschung an Schweinen können wir Allergien, unsere Wundheilung und die Hautkrankheit Schuppenflechte (Psoriasis: nicht ansteckende Haut- und Gelenkerkrankung, welche entzündete, juckende Haut und Schuppen auslöst) besser verstehen und Gegenmittel entwickeln.
- Genbearbeitung: Gentechnisch modifizierte Schweine bilden menschliche Krankheitsprozesse genauer ab als herkömmliche Schweine oder andere gentechnisch manipulierte Tiere. Mit Techniken wie CRISPR-Cas9 können Wissenschaftler gezielte genetische Veränderungen vornehmen um so Krankheiten wie etwa Huntington (neurodegenerative Erkrankung, welche zum Ausfall von immer mehr Bereichen im Gehirn und somit zum Kontrollverlust von Muskelbewegungen und psychischen sowie kognitiven Funktionen führt) besser untersuchen zu können.
Steckbrief - Hausschwein vs. Minischweine
Hausschwein
- Ausgewachsene Tiere können bis zu 80-90 cm Schulterhöhe erreichen
- Das Gewicht liegt bei ca. 140-300 kg
- Sauen gebären 10-14 Ferkel pro Wurf
- Die Tragzeit beträgt ca.115 Tage
Göttinger Minischwein
- Ausgewachsene Tiere können bis zu 32-38 cm (Weibchen) bzw. 35-45 cm (Männchen) Schulterhöhe erreichen
- Das Gewicht liegt bei ca. 35-45 kg (Weibchen) bzw. bei ca. 40-60 kg (Männchen)
- Sauen gebären 6-7 Ferkel pro Wurf
- Die Tragzeit beträgt 112-114 Tage
Aachener Minischwein
- Ausgewachsene Tiere können bis zu 32-38 cm (Weibchen) bzw. 35-45 cm (Männchen) Schulterhöhe erreichen
- Das Gewicht liegt bei ca. 40-50 kg (Weibchen) bzw. bei ca. 40-55 kg (Männchen)
- Sauen gebären 6-7 Ferkel pro Wurf
- Die Tragzeit beträgt ca. 115 Tage
Cardio Pig
- Ausgewachsene Tiere können bis zu 50 cm (Weibchen) bzw. 55 cm (Männchen) Schulterhöhe erreichen
- Das Gewicht bei ausgewachsenen Tieren liegt bei ca. 70-85 kg (Weibchen) bzw. bei ca. 75-90 kg (Männchen)
- Sauen gebären 6-7 Ferkel pro Wurf
- Keine Reinzuchttiere, daher keine Cardio-Zuchtsauen
Innovative Schweinemodelle aus Aachen:
Aachener Minischwein und Cardio Pig für die biomedizinische Forschung
In Aachen wurde ab 2013 das „Aachener Minipig“ unter strenger Beachtung des 3R-Prinzips (Refinement, Reduction, Replacement) als robuste, unspezifisch-pathogenfreie Schweinerasse mit einem Endgewicht von 30–60 kg etabliert. 2021 kam das langsam wachsende „Cardio Pig“ hinzu, das mit etwa 80 kg ein den menschlichen Organmaßen ähnlicheres Modell liefert. Beide Linien werden in Nordrhein-Westfalen gezüchtet und bieten durch ihren stabilen Gesundheitsstatus und die angepasste Körpergröße ideale Voraussetzungen für die medizinische und pharmakologische Forschung.
Die Aachener Minipigs wurden bereits erfolgreich in orthopädischen Experimenten, Langzeitsicherheitstests temperaturkontrollierter Ganzkörper-Therapien gegen externe Erreger, als in vivo-Modell zur Untersuchung intrakranieller Arteriendurchmesser, für mikrobiologische Charakterisierungen in der Xenotransplantationsforschung eingesetzt.
Haltung, Ernährungspräferenzen, Verhalten, Sozialstruktur und Enrichmentmethoden der Schweine als Versuchstiere
Haltungsbedingungen
- Hausschweine benötigen ab einem Lebendgewicht von 100 kg mindestens 1,35 m² Fläche pro Tier. Adulte Minischweine im Gewichtsbereich 30–50 kg haben einen Platzbedarf von etwa 0,50 m² pro Tier.
- Die Stalltemperatur wird für adulte Tiere zwischen 15 °C und 20 °C eingestellt und für Neugeborene zwischen 30 °C und 36 °C.
- Eine Beleuchtung von mindestens acht Stunden bei 80 Lux oder entsprechendem Tageslicht ist erforderlich.
- Der Boden muss rutschfest und trocken sein, wobei Spaltenweiten dem Altersstadium angepasst werden. Einstreu wie Stroh, Sägemehl oder Papier wird autoklaviert bereitgestellt, um Wühl- und Nestbauverhalten zu fördern und hygienisch einwandfrei zu halten.
- Neu angekommene Tiere verbleiben zwei bis vier Wochen in Quarantäne und müssen ein Gesundheitszeugnis mit Serologieergebnissen vorweisen.
- Automatische Tränkesysteme sollten zweimal täglich auf Funktion geprüft werden, da Schweine sie manipulieren können.
- Für die intensivmedizinische Nachsorge stehen gepolsterte Aufwachboxen zur Verfügung, die Zugänge für Infusionen und Sauerstoff erlauben.
Ernährungspräferenzen
- Schweine sind Allesfresser mit Vorliebe für Süßes, und die Textur des Futters beeinflusst die Akzeptanz stark.
- Die Ernährung erfolgt altersgerecht in den Phasen Starter-, Aufzucht-, Haltungs- und Zuchtfutter. In der Laborhaltung wird pelletiertes Futter bevorzugt, und bei der Eingewöhnung bleibt zunächst das Futter aus dem Herkunftsbetrieb erhalten. Direkt nach dem Absetzen empfiehlt sich ein Multi-Feed-System mit vielen kleinen Mahlzeiten zur Stabilisierung der Darmflora.
- Minischweine erhalten energiereduziertes Futter mit 10–14 % Rohfaser und 13–16 % Protein, um ihrer Verfettungstendenz entgegenzuwirken.
- Futtermittelzusatzstoffe wie Probiotika, organische Säuren und mittelkettige Fettsäuren unterstützen die Stabilität des Magen-Darm-Trakts.
Verhalten
- Schweine zeigen ein ausgeprägtes Wühl-, Nestbau- und Explorationsverhalten, das in der Haltung berücksichtigt werden muss.
- Sie trennen konsequent Liege- und Kotbereich und vermeiden den Kontakt mit ihren Exkrementen.
- Regelmäßiges Duschen kann das Körperpflege- und Thermoregulationsverhalten fördern.
- Positives Training mit Clicker oder Target-Methoden reduziert Angst und Stress beim Handling.
Sozialstruktur
- Hausschweine und Minischweine sind soziale Tiere mit fester Rangordnung und sollten in stabilen Gruppen gehalten werden. Eine Einzelhaltung ist nur medizinisch indiziert zulässig und muss Sicht-, Hör- und Geruchskontakt zu Artgenossen ermöglichen.
- Minischweine aus SPF(spezifiziert pathogenfrei)-Zuchten werden oft einzeln bezogen, benötigen jedoch ebenfalls soziale Kontaktmöglichkeiten.
Enrichment und Training
- Beschäftigungsmaterialien wie Ketten, Bälle und Beißringe müssen regelmäßig ausgetauscht werden, um Gewöhnung zu vermeiden. Diese Materialien dürfen robust, ungiftig und gut zu reinigen sein; Holz ist meist nur für Einmalnutzung geeignet.
- Heu, Stroh sowie Obst und Gemüse werden in Futterspielzeugen versteckt, um das Erkundungsverhalten zu fördern. Futterbelohnungen wie Maisringe oder Zuckerwürfel dienen als positive Verstärker beim Training und tragen zur Stressreduktion bei.
- Clicker- und Target-Training erleichtert Probenahmen, Medikamentengabe und das Handling.
- Regelmäßiger Körperkontakt durch Kraulen und Abduschen stärkt die Mensch-Tier-Beziehung und senkt Stresslevel.
Meilensteine in der Biomedizin mit Schweinen
Seit mehr als einem Jahrhundert haben wir dank Schweinen Antworten auf wesentliche biologische Prozesse erhalten. In dem Zeitstrahl können Sie die wichtigsten bahnbrechenden Entwicklungen und Erfolge entdecken, die die biomedizinische Forschung prägen.
Für die interaktive Version, klicken Sie bitte hier: Meilensteine in der Biomedizin mit Schweinen
Für die PDF-Version zum Herunterladen, klicken Sie bitte hier:
Anzahl der in der Forschung verwendeten Schweine 2023
Laut dem aktuellsten Bericht (2023) des Bf3R - Deutsches Zentrum für Schutz von Versuchstieren am Bundesinstitut für Risikobewertung machen Schweine 0,66 % der Gesamtzahl (ca. 1,46 Millionen Tiere) der im Jahr 2023 in Deutschland verwendeten Versuchstiere aus. 40 % dieser Schweine wurden für translationale und angewandte Forschung und 32 % für Schulung zum Erwerb, zur Erhaltung oder zur Verbesserung beruflicher Fähigkeiten eingesetzt. Für Grundlagenforschung wurden 14 % der 9643 Schweine und 11 % davon zu regulatorischen Zwecken und Routineproduktion verwendet. 3 % der verwendeten Schweine im Jahr 2023 wurden in der Hochschulausbildung eingesetzt.
Ausgewählte Publikationen zu Forschungsprojekte mit Schweinen aus NRW
RWTH Aachen
- Implementation of the Surgical Apgar Score in Laboratory Animal Science: A Showcase Pilot Study in a Porcine Model and a Review of the Literature - PubMed
- Orthotopic Kidney Auto-Transplantation in a Porcine Model Using 24 Hours Organ Preservation And Continuous Telemetry - PubMed
- A Novel Hypobaric Perfusion Method to Remove Microthrombi in Kidney Grafts with Prolonged Circulatory Arrest: A Pilot Study on a Porcine Model - PubMed
- A Proof-of-Concept Preclinical Study Using a Novel Thermal Insulation Device in a Porcine Kidney Auto-Transplantation Model - PubMed
Quellen und weitere Links
Efficacy of the porcine species in biomedical research
The Pig as a Model for Human Wound Healing
Importance of the pig as a human biomedical model
The role played by protozoa in causing disease
Novel therapies to treat parasitic infections
Xenotransplantation: Interview mit Univ.-Prof. Dr. med. René Tolba
First pig-to-human heart transplantation
Verwendung von Versuchstieren im Berichtsjahr 2023
Glodek P: Entstehung und züchterische Fortentwicklung; in Glodek P, Oldigs B (eds): Das Göttinger Miniaturschwein. Berlin/Hamburg, Paul Parey, 1981, pp 9–17.
Ellegaard L, Damm Jørgensen K, Klastrup S, Kornerup A, Svendsen O: Haematologic and clinical chemical values in 3 and 6 months old Göttingen minipigs. Scand J Lab Anim Sci 1995; 22: 239–248.
Danksagung
Wir möchten uns herzlich bei allen Netzwerkmitgliedern bedanken, die an dieser Seite „Schweine in der biomedizinischen Forschung“ von der Konzeption bis zur Erstellung mitgewirkt haben.