Hintergrund
In Deutschland wurden im Jahr 2023 rund 1,46 Millionen Wirbeltiere und Kopffüßer in Tierversuchen eingesetzt. Hinzu kommen 671.958 Tiere, die ohne vorherige Eingriffe oder Behandlungen für wissenschaftliche Zwecke getötet wurden. Insgesamt wurden im Jahr 2023 also ca. 2,13 Millionen Tiere in der tierexperimentellen Forschung gezüchtet und für wissenschaftliche Zwecke verwendet. Rund 80,1 Prozent der verwendeten Versuchstiere waren Nagetiere, insbesondere Mäuse und Ratten; rund 50,6 Prozent der verwendeten Tiere waren gentechnisch veränderte Tiere.2 Die Gründe für Tierversuche sind vielfältig. Dazu gehören insbesondere die Grundlagenforschung zum besseren Verständnis von Lebensvorgängen und Krankheiten, die Entwicklung neuer Arzneimittel und Medizinprodukte sowie von Heilverfahren, ferner die Prüfung der Unbedenklichkeit von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie anderen Stoffen für Mensch und Tier.
Die Verwendung von Tieren zu wissenschaftlichen Zwecken wird seit vielen Jahren kontrovers diskutiert. Dabei spielen in der öffentlichen Diskussion vor allem zwei Fragen eine zentrale Rolle: Zum einen die epistemische (erkenntnistheoretische) Frage nach der Übertragbarkeit tierexperimentell gewonnener Ergebnisse auf den Menschen, zum anderen die ethische Frage, ob und unter welchen Bedingungen der Einsatz von Tieren zu Versuchszwecken gerechtfertigt werden kann. Die Antworten auf diese beiden Fragen gehen sowohl in der öffentlichen als auch in der wissenschaftlichen Diskussion weit auseinander. Während die einen tierexperimentelle Forschung grundsätzlich als sinnvoll erachten und einen Tierversuch dann für ethisch vertretbar halten, wenn der besondere Wert des Versuchszwecks für den Menschen die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Tiere überwiegt, betonen andere die epistemischen Grenzen des Tierversuchs und die Vorteile sogenannter Alternativmethoden. Vor allem aber kritisieren letztere die Durchführung von Tierversuchen als Verstoß gegen die gleichberechtigte Berücksichtigung der Interessen aller (schmerz- )empfindungsfähigen Wesen und damit als eine Form von Speziesismus. Zwischen diesen grundsätzlichen Positionen gibt es zahlreiche weitere Standpunkte.
Zu diesen grundsätzlichen Fragen nach dem Sinn und der ethischen Rechtfertigung von Tierversuchen nimmt das vorliegende Hintergrundpapier nicht Stellung. Es geht vielmehr von der Tatsache der tierexperimentellen Praxis aus, also davon, dass Tierversuche stattfinden und aller Voraussicht nach auch in Zukunft stattfinden werden. Und sie geht weiter davon aus, dass diese Praxis - unabhängig davon, wie man sie insgesamt ethisch bewertet - ein besonderes ethisches Problem aufwirft: Wie soll mit den Tieren umgegangen werden, die im Rahmen der tierexperimentellen Forschung unvermeidlich entstehen, aber nicht für wissenschaftliche Zwecke verwendet werden können?
Bei diesen Tieren handelt es sich insbesondere um gentechnisch veränderte Tiere, die im Rahmen der Zucht entstehen und aufgrund ihres Genotyps für die wissenschaftliche Fragestellung sowie für die weitere Zucht ungeeignet sind. Gemäß den Mendelschen Regeln entsteht bei der Zucht gentechnisch veränderter Tiere zwangsläufig eine Vielzahl von Tieren, die nicht den gewünschten Genotyp aufweist. Dieser Umstand tritt umso mehr in Erscheinung, wenn Tiermodelle mit mehreren genetischen Veränderungen erzeugt werden. Zu den als "nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeten" klassifizierten Tieren zählen zudem Tiere, die im Rahmen der Erhaltungszucht gezüchtet und gehalten werden, sowie Tiere, die spezifische Anforderungen für bestimmte wissenschaftliche Fragestellungen (Alter, Geschlecht etc.) nicht erfüllen.
Die "nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tiere" werden bisweilen auch als "überzählige" Tiere bezeichnet. Eine Reduktion der Anzahl dieser Tiere kann durch intelligente Zuchtschemata, technische Optionen (wie beispielsweise die CRISPR/Cas9-Technologie) oder institutionalisierte Austauschprogramme erreicht werden. Gemäß dem derzeitigen Kenntnisstand ist jedoch auch durch derartige Maßnahmen nicht zu vermeiden, dass "nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendete Tiere" entstehen. Im Jahr 2023 belief sich die Zahl der Tiere, die nicht für wissenschaftliche Zwecke verwendet wurden, auf 1,37 Millionen. Diese Tiere werden derzeit in der Regel getötet.3
1Zum Hintergrund: Die Tierschutzbeauftragten der Tierversuchseinrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) haben die Landestierschutzbeauftragte gebeten, einen „Runden Tisch“ zur Fragestellung eines landesweit einheitlichen Vorgehens bezüglich des Umgangs mit Tieren, die nicht zu wissenschaftlichen Zwecken eingesetzt werden können, zu etablieren. Beteiligt waren zusätzlich die beiden Fachministerien (Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz und Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW), Vertreter:innen der Genehmigungsbehörden (Landesamt für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz des Landes NRW), Vertreter:innen der Kreisordnungsbehörden des Landes NRW, sowie Expert:innen aus wissenschaftlichen Einrichtungen und des Tierschutzes.
3Ebd., https://www.bf3r.de/de/verwendung_von_versuchstieren_im_berichtsjahr_2023-318066.html
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Diese Empfehlung ist ursprünglich auf der Website der Tierschutzbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen veröffentlicht worden. Das Originaldokument können Sie auch hier herunterladen:
Die entsprechenden Handlungsempfehlungen finden Sie bitte hier: Handlungsempfehlung zur Vermeidung von Tieren, die nicht zu wissenschaftlichen Zwecken eingesetzt werden können
Nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendete Tiere: Das ethische Problem
Gemäß dem deutschen Tierschutzgesetz, welches die Nutzung von Tieren in vielen Fällen unter einen Genehmigungs- und Erlaubnisvorbehalt stellt, ist die Tötung von Wirbeltieren nur unter der Prämisse eines "vernünftigen Grundes" zulässig. Nach §1 TierSchG besteht der Zweck des Tierschutzgesetzes darin, „aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ §17 bestimmt, dass mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden soll, wer „ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet.“ Gemäß der vorherrschenden Auffassung in der Rechtswissenschaft werden wirtschaftliche Erwägungen oder das Ziel der Einsparung von Arbeit und Zeit in der Regel nicht als "vernünftiger Grund" betrachtet, der die Tötung eines Tieres rechtfertigt. Die Frage, ob ein "vernünftiger Grund" im Sinne des Tierschutzgesetzes auch für die Tötung von Versuchstieren besteht, die nicht für wissenschaftliche Zwecke genutzt werden können, ist jedoch umstritten. Die Tötung von Versuchstieren, die nicht für wissenschaftliche Zwecke genutzt werden können, ist jedoch nicht nur ein rechtliches, sondern insbesondere auch ein ethisches Problem.
Die überwiegende Anzahl gegenwärtiger tierethischer Ansätze akzeptiert die Prämisse, dass alle Lebewesen, deren Wohlergehen je nach unserem Umgang mit ihnen negativ oder positiv beeinflusst werden kann, moralisch zählen. Es bestehen jedoch Unterschiede in der Gewichtung der Relevanz der Belange oder Interessen von Tieren im Vergleich zu denen von Menschen. Vertreter:innen hierarchischer Positionen vertreten die Auffassung, dass eine ungleiche Berücksichtigung menschlicher und tierlicher Interessen gerechtfertigt sei. Die Vertreter:innen dieser Position argumentieren, dass menschliche Lebewesen über eine größere Bandbreite und andere Arten von Interessen verfügen als nichtmenschliche Lebewesen, was eine Privilegierung menschlicher Interessen gegenüber tierischen Interessen rechtfertigt. Die Vertreter:innen egalitärer Positionen sind hingegen der Auffassung, dass keine Gründe existieren, die eine ungleiche Berücksichtigung menschlicher und tierlicher Interessen rechtfertigen könnten. Es besteht jedoch Konsens zwischen den beiden Ansätzen, dass die Bedürfnisse oder Interessen empfindungsfähiger Tiere nicht vernachlässigt oder ignoriert werden dürfen.
Der Anspruch empfindungsfähiger Tiere, dass ihre Belange und Interessen berücksichtigt werden, umfasst mehr als nur den Aspekt des Schutzes vor unnötigen Schmerzen und Leiden. Folglich unterliegt die Tötung eines Tieres, sofern sie überhaupt moralisch gerechtfertigt werden kann, hohen Anforderungen. In dieser Frage zeigen sich Unterschiede zwischen den verschiedenen tierethischen Positionen. Während einige Positionen in der tierethischen Debatte, wie zum Beispiel verschiedene Tierrechtspositionen, der Auffassung sind, dass die Tötung eines Tieres grundsätzlich nur dann moralisch erlaubt ist, wenn sie zu dessen eigenen Gunsten und in dessen eigenem Interesse erfolgt ("preference respecting euthanasia"), erlauben andere Ansätze eine Interessenabwägung auch in Bezug auf die Tötungsfrage. Ein vorzeitiger Tod beraubt ein Tier dieser Auffassung zufolge der positiven Erfahrungen, die es unter günstigen Voraussetzungen ansonsten hätte machen können (Vorenthaltungs- oder Beraubungsargument) bzw. verhindert die Erfüllung seiner auf die Zukunft bezogenen Interessen (Frustrationsargument). Welche Gründe es rechtfertigen, ein Tier zu töten, hängt dieser Auffassung nach nicht zuletzt davon ab, ob man glaubt, dass menschlichen Belangen und Interessen größeres Gewicht zukommt als den Belangen und Interessen von Tieren. Unabhängig davon, welcher Position man sich in dieser Frage anschließt, kann die Tötung eines empfindungsfähigen Tieres nur dann als moralisch zulässig angesehen werden, wenn sie durch besonders gewichtige Gründe gerechtfertigt ist.
Pragmatische Forderungen und Vorschläge
In Anbetracht dessen ergibt sich die Frage, auf welche Art und Weise ein Umgang mit Tieren, die nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet werden, gelingen kann, der den Bedürfnissen und Interessen der Versuchstiere und insbesondere deren berechtigten Lebensinteressen möglichst gerecht wird. Die nachfolgend angeführten pragmatischen Forderungen und Vorschläge zielen auf eine Reform der bestehenden tierexperimentellen Praxis in diesem Sinne ab, die an dem übergeordneten Ziel orientiert ist, Tiere soweit wie möglich vor Leiden und einem vorzeitigen Tod zu bewahren.
1) Gemäß den Bestimmungen des Tierschutzgesetzes ist vor der Durchführung eines Tierversuchs eine Reihe grundlegender Fragen zu beantworten, die sich auf die "ethische Vertretbarkeit" des Vorhabens...
Gemäß den Bestimmungen des Tierschutzgesetzes ist vor der Durchführung eines Tierversuchs eine Reihe grundlegender Fragen zu beantworten, die sich auf die "ethische Vertretbarkeit" des Vorhabens beziehen. Hierzu zählen insbesondere die Prüfung der Unerlässlichkeit und Alternativlosigkeit des Versuchsvorhabens im Sinne des Tierschutzgesetzes sowie die Eignung und Verhältnismäßigkeit der wissenschaftlichen Methodik in Bezug auf das angestrebte Versuchsziel. Darüber hinaus ist eine sorgfältige Abwägung vorzunehmen, ob der angestrebte Erkenntnisgewinn die individuelle Belastung der im Versuch eingesetzten Tiere aufwiegt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Tierversuche allenfalls Nutzenchancen eröffnen, die sich mit Blick auf einen häufig weit entfernt liegenden Nutzen nur schwer bestimmen lassen. Bei der angedeuteten ethischen Vertretbarkeitsprüfung müssen neben den möglichen Schmerzen, Leiden oder Belastungen der in einen Versuch eingeschlossenen Versuchstiere auch die Belange und Interessen der absehbar im Rahmen des Forschungsprojektes entstehenden "nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeten" Tiere berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist bereits bei der Antragstellung auf die Unterbringung und Haltung dieser Tiere zu achten. Insbesondere dann, wenn das Verhältnis zwischen Versuchstieren, die in den Versuch eingehen, und „nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tieren“ besonders ungünstig ist, wie es bei Versuchen mit genetisch veränderten Tieren manchmal der Fall ist, kann dieser Umstand dazu führen, dass das Vorhaben ethisch nicht vertretbar ist.
2) In Anträgen, die bei Einrichtungen der Forschungsförderung eingereicht werden, sollten die Belange und Interessen von im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt gezüchteten, aber "nicht zu wissen...
In Anträgen, die bei Einrichtungen der Forschungsförderung eingereicht werden, sollten die Belange und Interessen von im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt gezüchteten, aber "nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tieren" berücksichtigt werden. Dies kann insbesondere dadurch geschehen, dass Mittel für eine weitere tiergerechte Haltung dieser Tiere mitbeantragt werden.
3) Aus ethischer (und rechtlicher) Perspektive ist die Reduktion nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeter Tiere geboten. Dies umfasst eine sorgfältige, gewissenhafte und am Bedarf des jeweil...
Aus ethischer (und rechtlicher) Perspektive ist die Reduktion nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeter Tiere geboten. Dies umfasst eine sorgfältige, gewissenhafte und am Bedarf des jeweiligen Forschungszwecks orientierte Zuchtplanung und ein entsprechendes Zuchtmanagement. Darüber hinaus sollten Austausch- und Vermittlungsprogramme genutzt und verfügbare technische Möglichkeiten eingesetzt werden. Die konsequente Anwendung dieser und anderer Maßnahmen zur Verringerung der Zahl nicht verwendeter Versuchstiere ist aus ethischer (und rechtlicher) Sicht unerlässlich, jedoch darf sie nicht als ethisch ausreichend angesehen werden. Die Tatsache, dass die Zahl der "nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tiere" in den zurückliegenden Jahren in nicht unerheblichem Maße reduziert werden konnte, ist ein Indiz dafür, dass die genannten Maßnahmen sinnvoll und effektiv sind. Zugleich unterstreicht sie jedoch auch die ethische Dringlichkeit dieser Bemühungen.
4) Wissenschaftliche Einrichtungen, an denen tierexperimentelle Forschung stattfindet bzw. Tiere für die wissenschaftliche Forschung gezüchtet und gehalten werden, sind ethisch dazu verpflichtet,...
Wissenschaftliche Einrichtungen, an denen tierexperimentelle Forschung stattfindet bzw. Tiere für die wissenschaftliche Forschung gezüchtet und gehalten werden, sind ethisch dazu verpflichtet, bestehende Haltungskapazitäten zu nutzen, nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tieren ein tiergerechtes Leben zu ermöglichen. Der Umfang der für nicht verwendete Versuchstiere verfügbaren Haltungskapazitäten könnte als Gradmesser dafür herangezogen werden, inwiefern alle Beteiligten wie zum Beispiel Einrichtungen, Forschungsförderinstitutionen und die Gesellschaft/Politik den ethisch gebotenen Schutz der Versuchstiere als prioritäres Anliegen betrachten. Da die Anzahl der verwendeten und der "nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tiere" einrichtungsbezogen variiert, ist eine Prüfung erforderlich, in welchem Maße Haltungskapazitäten für eine tiergerechte Haltung "nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeter Tiere" auch nach Ablauf der minimalen Vermittlungszeit vorzuhalten sind. Diese Prüfung kann dazu führen, dass auf Forschungsoptionen aufgrund nicht ausreichend vorhandener Kapazitäten verzichtet werden muss. Die Freiheit von Forschung und Wissenschaft gilt nicht schrankenlos und wird insbesondere nicht schon dadurch in unzulässiger Weise eingeschränkt, dass Haltungskapazitäten und Ressourcen für die wissenschaftliche Forschung möglicherweise nur begrenzt zur Verfügung stehen. Ein kluges Forschungs- und Tierhaltungsmanagement wird dementsprechend darauf abzielen, die Tür für weitere Forschung offen zu halten, während gleichzeitig die ethische Verpflichtung gegenüber den Tieren erfüllt wird.
5) Die Abgabe und Tötung von Tieren, die nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet wurden, als Futtermittel, trägt – unabhängig von der rechtlichen Bewertung – nicht zu einem ethisch angemessen...
Die Abgabe und Tötung von Tieren, die nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet wurden, als Futtermittel, trägt – unabhängig von der rechtlichen Bewertung – nicht zu einem ethisch angemesseneren Umgang mit nicht verwendeten Versuchstieren bei. Zwar ist diese Praxis von dem nachvollziehbaren Gedanken motiviert, die wertvolle "Ressource Versuchstier" nicht zu verschwenden, jedoch werden die berechtigten Lebensinteressen der betroffenen Tiere dabei ignoriert. Aus der Perspektive der betroffenen Tiere ist es letzten Endes unerheblich, ob sie in einem anderen Forschungsprojekt Verwendung finden, als Futtermittel abgegeben oder als tierische Nebenprodukte gesetzeskonform entsorgt werden – in jedem Fall werden sie einer möglichen positiven Lebensperspektive beraubt.
Übergeordnetes Ziel: Vollständiger Ersatz von Tierversuchen
Die genannten pragmatischen Forderungen und Vorschläge sind zwar geeignet, das ethische Problem des Umgangs mit „nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tieren“ zu mildern, sie lösen aber nicht das ethische Grundproblem.
Da bei der Zucht von Versuchstieren auch bei strikter Einhaltung der genannten Maßnahmen zwangsläufig „Tiere, die nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet werden“ entstehen, bleibt es auch bei den genannten Reformen der bestehenden tierexperimentellen Praxis dabei, dass die berechtigten Lebensinteressen vieler „Tiere, die nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet werden“ im Rahmen der tierexperimentellen Forschung nicht angemessen berücksichtigt werden. Die Erzeugung von Tieren, die nicht für wissenschaftliche Zwecke verwendet werden, kann nur dann weiter reduziert werden, wenn die Zahl der Tierversuche und damit die Zucht von Versuchstieren verringert wird.
Die angeführten pragmatischen ethischen Forderungen und Vorschläge lassen sich vor diesem Hintergrund nur unter der Prämisse rechtfertigen, dass der Umgang mit "nicht zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tieren" von dem ernsthaften Willen und der Bereitschaft getragen wird, diese Praxis nachhaltig zu reformieren und auf eine signifikante Reduzierung der Anzahl von Tierversuchen hinzuwirken. Die Verantwortung hierfür liegt bei den Entscheidungsträger:innen auf allen Ebenen: Wissenschaftler:innen, wissenschaftlichen Einrichtungen, der Forschungsförderung und der Politik. Das Ziel muss eine nachhaltige Veränderung der bestehenden Praxis sein, um eine signifikante Reduzierung der Anzahl von Tierversuchen zu erreichen. Dies gilt in besonderer Weise für die Forschung mit genetisch veränderten Tieren.
Übergeordnetes Ziel aller Bemühungen muss es sein, „Verfahren mit lebenden Tieren für wissenschaftliche Zwecke und Bildungszwecke vollständig zu ersetzen, sobald dies wissenschaftlich möglich ist“ (gem. Richtlinie 2010/63/EU).
Diese Denkanstöße sind ursprünglich auf der Website der Tierschutzbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen veröffentlicht worden. Das Originaldokument und weitere Informationen finden Sie in der Rubrik „Weitere Informationen“ hier: Landestierschutzbeauftragte NRW
Die entsprechenden Handlungsempfehlungen finden Sie bitte hier: Handlungsempfehlung zur Vermeidung von Tieren, die nicht zu wissenschaftlichen Zwecken eingesetzt werden können
Bei Rückfragen steht Ihnen die Geschäftstelle des 3R-Kompetenznetzwerks NRW gerne zur Verfügung.
Kontakt: 3r-netzwerk-nrw@ukbonn.de